Landpsychologin.de ist ein Internetforum,
das in loser Folge Frauen vorstellt, die eine psychologische Praxis in
einer Region mit einer überwiegend ländlichen Struktur führen.
Landpsychologinnen sind wegen der dünnen Besiedlung des ländlichen
Raums und eines großen Einzugsgebiets besonders gefordert. Sie müssen
oft viele Fachgebiete abdecken. Sie betreuen Firmen und Unternehmen in
der betrieblichen Gesundheitsförderung und bei der Personalauswahl
und -entwicklung. Sie halten Vorträge beim Landfrauenverband oder
der Landjugend. Sie helfen dem Junglandwirt, der Schwierigkeiten hat eine
Frau zu finden. Sie coachen den Dorfbürgermeister, den Hauptmann der
örtlichen freiwilligen Feuerwehr, den Juniorchef des Familienunternehmens
oder den Senior, der das Ende seiner beruflichen Laufbahn vorbereitet.
Sie sind Erziehungsberatungsstelle für Eltern, die Probleme mit ihren
Kindern haben, aber sie werden auch gerufen, wenn jemand nach einem Unfall
schwer traumatisiert ist oder in einer akuten Krise steckt.
Unsere erste Interviewpartnerin ist die Diplom-Psychologin Angela Sophia Wagner. Sie führt ihre Praxis in der alten Schlossgärtnerei von Wiesenbach-Langenzell im unteren Elsenztal. In dieser sehr ländlichen geprägten Region die zwischen dem Kraichgau und kleiner Odenwald liegt, gibt es alle Probleme, die es auch in der Stadt gibt. Nur treten sie vielleicht nicht ganz so geballt auf wie in einem städtischen Umfeld. Deshalb ist Spezialisierung auf dem Land so gut wie nicht möglich. Als Landpsychologin muss Frau Wagner ähnlich einem Landarzt über ein sehr breites Spektrum an Wissen und Erfahrung verfügen. Sie muss aber auch Ihre Grenzen kennen. Im Zentrum der Arbeit von Frau Wagner steht immer der Mensch in seinen verschiedenen Rollen als Führungskraft, Unternehmer, Landwirt, Mitarbeiter, Mutter, Vater oder Kind. Landpsychologin.de: Frau Wagner, warum haben sie sich für eine Landpraxis entschieden? ANGELA WAGNER: Ich stamme aus einer sehr ländlichen Region in Oberschwaben. Weil meine Eltern selbst keine Landwirtschaft hatten, sondern beide beruftstätig waren, habe ich viel Zeit bei einer Familie auf einem Hof verbracht. Dort gab es viele Kinder, aber natürlich auch Tiere. Für mich als kleines Mädchen war das Abenteuer pur. Das Leben in dieser Zeit war hart aber herzlich. Es wurde im Winter nur die Küche beheizt, also nur ein Raum im Haus. Dort fand alles Leben statt. Die Wege zur Schule waren weit, aber gleichzeitig auch eine intensive Begegnung mit der Natur und den Jahreszeiten. Die Wochenenden gehörten der Familie, es wurde in der Küche gesungen und musiziert. Meine Liebe zum Land hat sicher hier ihre Wurzeln. Landpsychologin.de: Wie kamen Sie auf die Idee Psychologin zu werden? ANGELA WAGNER: Zunächst gar nicht. Als Frau durfte ich zunächst kein Abitur machen, sondern lediglich die Mittlere Reife. Ich begann deshalb eine Ausbildung als Laborantin in pharmazeutischen Industrie und habe nach meinem Abschluss dort noch einige Jahre in der Forschung gearbeitet. Ich konnte mir etwas Geld zur Seite legen und beschloss dann in Heidelberg das Abendgymnasium zu besuchen. Nebenbei jobbte ich als Interviewerin, Datentypistin, Bedienung und war sogar kurzfristig für ein Heiratsvermittlungsinstitut tätig. Nach dem Abitur entschied ich mich zunächst für die Philosophie mit Soziologie und Psychologie als Nebenfächer. Irgendwann wurde dann das Interesse für die Psychologie einfach stärker, deshalb wurde Psychologie zum Hauptfach. Allerdings möchte ich meine Philosophiesemester nicht missen. Sie waren eine ausgezeichnete Schule des Denkens und helfen mir heute sehr bei meiner Arbeit. Landpsychologin.de: Wie haben Sie sich auf ihren Beruf als Landpsychologin vorbereitet? ANGELA WAGNER: Das Psychologiestudium in Heidelberg ist ja schon sehr breit angelegt. Man lernt wissenschaftlich arbeiten, aber man wird auch mit Arbeits- und Organisationspsychologie, Entwicklungspsychologie, Sozialpsychologie und klinischer Psychologie vertraut. Als Nebenfächer hatte ich außerdem Ethnologie und Psychopathologie. Neben dem Studium erwarb ich schon sehr bald als erstes die Kursleiterqualifikation für Entspannungsverfahren, also autogenes Training und Progressive Muskelrelaxation nach Jacobsen. Das weckte in mir die Neugier auf Neuro-Psychologische Fragestellungen. Mit meiner Kursleiterqualifikation begann ich dann noch während dem Hauptstudium Entspannungskurse für die Krankenkassen hier vor Ort zu geben. Landpsychologin.de: Wie fanden sie Ihre ersten Klienten? ANGELA WAGNER: Mein Interesse für die Neurologie und meine Kursleiterqualifikation hat mir sehr viel Wertschätzung durch ärztliche Kollegen eingebracht. Ich begann neben den Entspannungsgruppen auch Gruppen im Bereich psychologische Schmerzbewältigung, Asthmaschulungen und Gruppen im Bereich Hilfe zur Pflege anzubieten, die seinerzeit von den Pflegeversicherungen bezahlt wurden. Als dann mit der Seehoferreform das vorläufige Aus für die Gesundheitsförderung der Krankenkassen kam, war ich schon so bekannt, dass ich bald meine ersten Klienten im Delegationsverfahren hatte. Landpsychologin.de: Was ist das Delegationsverfahren? ANGELA
WAGNER: Man nennt das auch Erstattungsverfahren. Ein ärztlicher Psychotherapeut,
der zu viele Klienten hat, gibt diese an einen psychologischen Kollegen
ab. Dieser stellt dem Klienten eine Rechnung, die dieser dann bei der Krankenkasse
einreicht. Die Krankenkasse erstattet dann diese Rechnung ganz oder teilweise.
Das Verfahren ist heute noch zulässig, wird aber von den Krankenkassen
nur noch ungern angewandt.
Landpsychologin.de: Haben Sie eine Therapieausbildung? ANGELA WAGNER: (lacht) natürlich habe ich die, sogar eine sehr breit angelegte. Das Studium ist eine gute Vorbereitung, reicht aber für eine erfolgreiche und effiziente Arbeit nicht aus. Nach den Entspannungsverfahren habe ich mich mit Verhaltenstherapie beschäftigt, aber gemerkt, das mir die Methode zu wenig bietet. Ich setzte Verhaltenstherapie ein, wenn jemand akut unter Ängsten oder Zwängen leidet. Aber mich interessiert natürlich sehr woher die Probleme, die jemand mitbringt, stammen. Ich sehe die Symptome als einen wichtigen Wegweiser. Man kann sie auch als missglückte Versuche sehen ein bestimmtes Problem zu lösen. Meine Ausbildungsschwerpunkte habe ich deshalb auf die Transaktionsanalyse, das ist ein tiefenpsychologisches Verfahren, und auf die systemische Familientherapie gelegt. Das systemische Denken hat philosophische Wurzeln und entspricht viel mehr meinem Menschenbild. Landpsychologin.de: Wer kommt zu ihnen? ANGELA
WAGNER: Ich bin die einzige Psychologin hier draußen. Deshalb kommen
die Menschen mit vielen verschiedenen Anliegen zu mir. Ich habe Paare,
die etwas an ihrer Beziehung verändern wollen, ich bin Coach für
Menschen in Umbruchsituationen oder Krisen, aber ich bin auch Personal-
und Organisationsentwicklerin für die Unternehmen der Region. Ich
helfe und begleite Menschen, die mit einer schwierigen Aufgabe konfrontiert
werden, die sie optimal und mit wenig Reibungsverlusten lösen möchten.
Das kann die Mutter sein, die mit Erziehungsproblemen an mich herantritt,
das kann aber auch jemand sein, der in einer Sinnfindungskrise steckt.
Landpsychologin.de: Was machen Sie mit den Menschen, die zu Ihnen kommen? ANGELA WAGNER: Am Anfang jeder Zusammenarbeit
stehen erst einmal klare Vertragsverhandlungen. Ich will erst einmal genau
wissen, was jemand für Ziele hat, was er mit mir zusammen erreichen
will. Erst dann kann ich entscheiden, ob ich zu diesem Zeitpunkt tatsächlich
die richtige Ansprechpartnerin bin. Ich muss meine Grenzen kennen und diese
klar kommunizieren. Und die Klienten müssen verstehen, dass sie nicht
zum Psychologen gehen, damit der sie irgendwo hin manipuliert, sondern,
dass sie selbst es sind, die sich ihre Ziele erarbeiten. Erst wenn hier
Klarheit herrscht ist eine Zusammenarbeit möglich.
Landpsychologin.de:
Die Menschen sind unterschiedlich, jeder hat seine Schwächen und Stärken.
Jeder kann mit Problemen verschieden gut umgehen. Was dem einen leicht
fällt, kann für den anderen ein Riesenproblem sein. Was für
die eine nur ein Achselzucken bewirkt, kann eine andere in ein tiefes Loch
stürzen. Jemand, der merkt, dass er oder sie in einer bestimmten Situation
professionelle Hilfe braucht, handelt richtig, wenn er sich diese Unterstützung
auch holt. Können Sie mir ein Beispiel sagen wie das geht?
ANGELA WAGNER: Zu mir kommen Menschen, die
große Verantwortung tragen müssen, z.B. weil sie beruflich
stark gefordert werden. Da will der Arbeitgeber, dass jemand ein neues
Team übernimmt oder für einige Monate ins Ausland geht und dort
ein Projekt leitet oder etwas aufbaut. Wie geht der Beziehungspartner gut
damit um, wie die Kinder? Hier ist viel zu klären, da hilft es, wenn
jemand von außen die richtigen Fragen stellt.
Landpsychologin.de: Die Unternehmensstruktur hier auf dem Land ist natürlich auch viel stärker familiär geprägt, als in der Stadt. Es gibt viele Familienbetriebe aber auch eine Personalentwicklung, die darauf baut, dass schon der Grossvater oder Vater in einer Firma gearbeitet hat und jetzt der Sohn dort seine Lehre anfängt. ANGELA WAGNER: Das ist richtig. Um so wichtiger ist es, dass auch ich als Landpsychologin absolute Anonymität garantiere. Wer zu mir kommt ist geschützt. Die ärztliche Schweigepflicht und das »Beichtgeheimnis« gelten natürlich auch für Psychologen. Es gibt aber anders als beim Landarzt eine klare Terminstruktur mit ausreichend Abstand zwischen den Sitzungen, d.h. man trifft keine Kollegen, Nachbarn oder Vereinsmitglieder im Wartezimmer. Landpsychologin.de: Machen Sie wie der Landarzt auch Hausbesuche? ANGELA WAGNER: Ja sicher, aber das ist eher die Ausnahme. Wenn jemand nach einem Unfall nicht mehr Autofahren kann oder Angst hat das Haus zu verlassen, dann ist das schon machbar. Meist findet man dann aber sehr schnell eine Lösung, die es dem Klienten erlaubt zu mir zu kommen. Landpsychologin.de: Unterscheiden sich Ihre Fälle von denen in der Stadt? ANGELA WAGNER: Nein, die Problemlagen sind
ziemlich ähnlich und die Menschen sind so verschieden wie in der Stadt.
Man kann Psychotherapie sowieso nicht standardisieren.
Jeder Mensch ist anders, deshalb muss auch jedes Mal eine Therapie neu
erfunden werden. Studium und Ausbildung liefern lediglich Handwerkszeug.
Persönliche Probleme entwickeln Menschen in Umbruchsituationen oder
Überlastungssituationen. Wenn plötzlich ein Angehöriger
gepflegt werden muss, wenn die Kinder pubertieren oder zu Hause ausziehen
oder wenn sich ein Beziehungspartner trennen möchte. Ich habe aber
auch Klienten, die Opfer einer Straftat oder eines Unfalls wurden und die
jetzt unter Angstattacken leiden. Kriminalität, Arbeits- und Verkehrsunfälle
gibt es eben auch im ländlichen Raum.
Landpsychologin.de: Was ist der Unterschied Ihrer Arbeit z.B. im Vergleich zum Psychiater? ANGELA WAGNER: Eine Psychologin kann Menschen
helfen, die ein Bewusstsein für ein Problem haben, die selbst merken,
dass etwas nicht stimmt. Wenn jemand ernsthaft psychiatrisch erkrankt,
dann hat er dieses Bewusstsein nicht mehr. Er hält seinen Wahn für
Realität. Auch wenn ernsthaft Selbst- oder Fremdgefährdung vorliegt
fällt das normalerweise in die Zuständigkeit der Psychiatrie.
Der Hauptunterschied ist, dass die Mediziner vom Krankheitsbegriff her
kommend ein eher mechanistisches Weltbild vom Menschen haben. Mediziner
denken oft monokausal: Hier Ursache, da Wirkung, dort Medikament. Mediziner
überweisen oft Patienten, bei denen sie nicht mehr weiterkommen. Der
Patient hat ernsthaft Schmerzen, sogar Symptome aber der Arzt findet keine
organischen Ursachen. Ich meine aber, dass viel mehr Menschen mit einer
Psychotherapie zu helfen wäre. Viele Krankheiten haben ihre Ursachen
in der Lebensgeschichte oder den Lebensumständen eines Menschen. Die
Alltagssprache ist voll von Metaphern: »Das bricht mir das Herz«,
»Eine Laus läuft mir über die Leber«, »Jemand hat
Schiss« fühlt sich »wie gelähmt« oder »hält
etwas im Kopf nicht aus«. Irgendwann manifestiert sich so etwas dann
in Krankheit. Ich denke, dass die Zusammenarbeit zwischen Psychologen und
Medizinern verbessert werden muss. Es gibt viele Krankheiten, die ohne
den Einsatz von Medikamenten oder einen chirurgischen Eingriff nicht oder
nicht so schnell heilbar wären. Die Frage ist natürlich, ob bei
rechtzeitiger psychologischer Betreuung und Begleitung diese Krankheiten
überhaupt erst entstanden wären. Eine Psychologin arbeitet normalerweise
nicht an den Symptomen, sondern an den Ursachen. Das merkt man schon daran,
dass man bei der Psychologin kein Patient, sondern ein Klient ist.
Landpsychologin.de: Sie sehen also eine Chance für Psychologen in der Gesundheitsförderung? ANGELA WAGNER: Ja sicher, die Psychologie
hat ja mit der Gesundheitspsychologie eine eigene Fachrichtung entwickelt.
Nehmen sie nur das Gebiet der Entspannungsverfahren wie Autogenes Training
oder progressive Muskelrelaxation nach Jacobsen. Hier gibt es mittlerweile
eine große Anzahl gesicherter Erkenntnisse aus klinischen Studien.
Wer sich effizient entspannen kann, braucht weniger Angst vor einem
Herzinfarkt haben, kann seinen Blutdruck besser regulieren und ist damit
vor Schlaganfällen und ähnlichen Risiken besser geschützt.
Ich mache in einigen Unternehmen hier in der Region, die keine eigenen
Betriebspsychologen haben, auch Stressmanagementkurse und Kommunikationstraining
mit den Mitarbeitern: Das verhilft den Unternehmen nicht nur zu mehr Effizienz,
sondern sorgt dafür, dass es weniger sozialen Stress in den Teams
und Arbeitsgruppen gibt. Gesund zu leben ist eben auch eine Frage der inneren
Haltung: Wir entscheiden schließlich selbst, wie wir unser leben
gestalten möchten, also wie wir uns ernähren, wie wir uns bewegen
und wie wir miteinander umgehen. Wann wir zu etwas »ja« und
wann wir »nein« sagen. Probleme gibt es dann, wenn Anspruch
und Wirklichkeit zu sehr auseinander klaffen, wenn man merkt es muss sich
etwas ändern, aber man vor lauter Wald die Bäume nicht mehr sieht.
Aber jede Krise birgt auch eine Chance in sich. Diese Chance aufzuspüren
und mit den Klienten zu meistern, das ist immer wieder spannend.
Landpsychologin.de: Wie lange arbeiten Sie mit Ihren Klienten? ANGELA WAGNER: Das kommt sehr auf den Einzelfall an. Es hilft sehr, dass die Klienten die Kosten für die Gespräche selbst tragen. Das zwingt beide Seiten zu mehr Effizienz. Manche Probleme lassen sich in wenigen Sitzungen eingrenzen, andere sind zäher. Ich mache viel Beratung und habe nur wenige echte Langzeittherapien mit über 50 Stunden. Die meisten kann ich mit 20-25 Stunden wieder verabschieden. Manche Paare brauchen sogar nur 5 - 6 Sitzungen, bis es wieder läuft. Im Vergleich zur Psychoanalyse, die 300 und mehr Stunden ansetzt ist das ultrakurz! Frau Wagner, ich danke Ihnen für dieses Gespräch! eMail Kontakt und weitere Informationen:
wagner[at]krise-als-chance.eu
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